„Vor der Wand“: Erinnern über Emotionen

Erinnern über Emotionen, auch schlimme Ereignisse aus der deutschen Vergangenheit wachhalten für nachfolgende Generationen: Dafür hat Michael Göring die Romanform gewählt und „Vor der Wand“ geschrieben. Das Buch erschien im September und wurde am 24.November vom Autor im Martin Luther Forum Ruhr vorgestellt.

Im Gespräch mit Dr. Carlo Gentile (Historiker und Judaist) und Michael Göring, moderiert von Jannika Haupt von der Projektassistenz des Martin Luther Forum Ruhr, wurde der auf Tatsachen beruhende Hintergrund des Romans verdeutlicht: das Kriegsverbrechen durch die Waffen-SS 1944 im toskanischen Dorf Sant‘Anna di Stazzema – das Massaker forderte über 500 Tote unter den Einwohnern. Trotz jahrelanger Ermittlungen italienischer und deutscher Justizbehörden – auch auf der Grundlage umfangreicher Recherchen von Carlo Gentile – wurde nie ein Beteiligter an dem Massaker belangt. Das Verfahren wurde 2012 eingestellt, weil die Taten als Totschlag gewertet wurden und damit verjährt waren, wie Michael Göring erläuterte. Es gehe ihm aber nicht darum, die letzten noch lebenden sechs SS-Männer („inzwischen alle dement“) hinter Gitter zu bringen, sondern vielmehr wolle er die Erinnerung an die Ereignisse für nachfolgende Generationen wach halten – „damit man die Toten nicht vergisst“. Göring: „Man muss an der Erinnerung arbeiten, auch an den schlimmen Geschichten der deutschen Vergangenheit.“ Was in Sant‘Anna di Stazzema geschehen sei, sei ein Verbrechen an der Zivilbevölkerung gewesen. In seinem Roman „Vor der Wand“ bildet es den Hintergrund der Handlung: Der 16-jährige Georg sucht in den 60er und 70er Jahren nach Antworten auf die Frage, was 1944 in dem toskanischen Dorf geschah, wo auch sein Vater gewesen war. Der Vater bricht erst spät, kurz vor seinem Tod, sein Schweigen.

Professor Dr. Michael Göring ist Vorsitzender des Vorstandes der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius in Hamburg und Honorarprofessor am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Im März hatte er im Martin Luther Forum Ruhr im Gespräch mit Pater Klaus Mertes SJ seinen ersten Roman „Der Seiltänzer“ vorgestellt, in dem es um Missbrauch in der katholischen Kirche geht.

Dr. Carlo Gentile, Historiker und Judaist, ist seit 1998 historischer Sachverständiger bei Strafverfahren wegen Kriegsverbrechen der Militärstaatsanwaltschaften Turin, Neapel und La Spezia, ferner der Zentralstelle im Lande NRW für die Bearbeitung von NS-Massenverbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund, der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg sowie der Staatsanwaltschaften Hamburg und Würzburg und Gutachter bei verschiedenen Prozessen wegen NS-Verbrechen.

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