Sommerempfang: Bischof appelliert an Palästinenser und Israelis: Dem auf Gerechtigkeit basierenden Frieden eine Chance geben

Über 200 Menschen aus Stadt, Region und darüber hinaus waren am Donnerstagabend, 26.Juni 2014, der Einladung zum Sommerempfang des Martin Luther Forum Ruhr gefolgt. Sie erlebten in der ehemaligen Markuskirche in Gladbeck-Ost mit Bischof Dr. Munib A. Younan einen beeindruckenden Festredner, der eigens für diesen Anlass aus Israel ins Ruhrgebiet gekommen war. Sein Thema im Themenjahr „Reformation und Politik“ der Lutherdekade 2017: „Luther, das Luthertum und Politik“. Der besondere Gast erhielt ein besonderes Gastgeschenk: Das Modell der zentralen Skulptur „Himmelskreuz“, die im Luthergarten in Wittenberg errichtet wird. Und die Fußball-WM konnte vorher auch verfolgt werden – im kleinen Saal wurde der Sieg der deutschen Mannschaft bejubelt.

Bischof Younan leitete seinen tiefgehenden Vortrag locker ein mit einem Glückwunsch für den Fußball-Erfolg – denn Sieger hörten ihm wohl lieber zu, wie er schmunzelnd meinte. „Mein Traum ist, dass Palästinenser und Israelis eines Tages das Bild Gottes im anderen sehen und die Menschlichkeit des anderen akzeptieren“, erklärte Dr. Muniv A. Younan, Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB) und Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL). „Erst dann können sie die menschlichen, zivilen, religiösen und politischen Rechte des anderen erkennen. Erst dann wird das Heilige Land für Palästinenser und Israelis gleichermaßen das Land, wo Milch und Honig fließen, sein. Ich bete, dass dieser Traum zu meinen Lebzeiten realisiert wird und dass wir nicht warten müssen, dass unsere Kinder und Enkelkinder diese Vision vom Frieden erleben.“
Zusammen mit anderen Religionen müssten arabische Christen die Ressourcen in allen religiösen Traditionen finden, die die Werte von Gerechtigkeit, Frieden und Akzeptanz des anderen unterstützen, damit nicht gegenwärtige und zukünftige Anstrengungen um Gerechtigkeit in Kriegen mündeten, die allein durch religiösen Extremismus motiviert seien. Der Bischof: „Wir arbeiten nicht zusammen ungeachtet unserer einzigartigen Glaubenstraditionen; wir arbeiten zusammen durch die Vielfalt unserer Traditionen.“ Dr. Younan sieht die Rolle als arabische Christen als ein Instrument des Friedens, als Verfechter der Gerechtigkeit, Kirchenmänner der Versöhnung, und als Apostel der Liebe. Dabei könnten nahöstliche Christen – einschließlich der palästinensischen Christen – auf beide, Martin Luther und Dietrich Bonhoeffer bauen als gläubige Zeugen, die danach suchten, zu ihren Lebzeiten Gottes Willen zu erkennen. Diese Pastoren hätten ihr Bestes getan, von biblischer Interpretation und theologischer Einsicht sich den politischen Herausforderungen ihrer Zeit zu stellen. Ihre Einsichten – die Einheit des weltlichen und des religiösen eingeschlossen – werde sich für die nahöstlichen Christen als hilfreich erweisen, um durch gegenwärtige und kommende Herausforderungen steuern.
viel-beifall-fuer-bischof-younan_124Zuvor hatte der Festredner ausführlich Luthers und darauf aufbauend Bonhoeffers Theorien zu Staat und Religion reflektiert und schließlich den Bogen zu lutherischer politischer Theorie und der aktuellen Lage im Nahen Osten geschlagen, die Ideen Luthers aus seinem, Younans, Kontext und seiner Erfahrung beleuchtet: „Ich komme von einem Kontext, wo Religion und Politik nicht getrennt werden können.“ Der Bischof zeigte sich überzeugt davon, dass lutherisches Gedankengut im Hinblick darauf, wie religiöse und weltliche Behörden miteinander umgehen, effektive Beiträge zum Wohl aller Gemeinschaften und Menschen im Nahen Osten leisten könne. Dabei gehe es nicht darum, die Politik zu „christianisieren“. „Wir streben danach, die Gesellschaft durch politisches Engagement zu verbessern.“ Und weiter: „Was wir verlangen, ist eine gute Regierung, die das Wohl der Menschen respektiert und nicht die Fähigkeit der Menschen antastet, Gott so zu ehren, wie sie es für richtig halten – ein Prinzip, das beide, Luther und Bonhoeffer, klar dargelegt haben.“ Und bei beiden sei die Bestätigung zu finden, dass eine Regierung nicht explizit christlich sein müsse, um Gottes Willen zu erfüllen.

Sehr konkret umriss Bischof Younan Handlungsperspektiven, für deren Verwirklichung durchaus auch die Kirchen aufgerufen seien, ihre Stimme zu erheben. „Konstitutionelle Entwicklung ist ein zentrales Anliegen für den Wiederaufbau des Nahen Ostens“, so Younan. „In diesem Prozess betonen arabische Christen ihr Bekenntnis zu gleichwertigen Bürgerrechten und gleichwertigen Verantwortungen unter einer Verfassung, die Menschenrechte einschließlich geschlechtlicher Gleichberechtigung, Freiheit von Religion, Rede und Pluralismus beinhaltet. Gleichzeitig erstreben wir nationale Konstitutionen, die nicht die Bibel, Scharia oder Halacha als die Hauptquelle ihrer Autorität haben. Vor dem Gesetz sind alle Religionen gleich; daher suchen wir Religionsfreiheit und Freiheit in religiösem Bekenntnis.“ Das Bildungserbe der Kirchen habe das erzieherische Rückgrat für viele arabische Länder bereitgestellt. Durch Bildungs- und gesellschaftliche Entwicklung könne ein gutinformierter Bürger die beste Regierung für seine Zeit und seinen Ort wählen. „Es ist unsere christliche Verantwortung, die Rechte aller Personen mit besonderem Fokus auf die meistverletzlichen, die nicht für sich selbst sprechen können, zu unterstützen: die Armen, die Immigranten, die Flüchtlinge, die Besetzten, die Unterdrückten“, betonte der Bischof. „Wir suchen Gerechtigkeit in jeder Situation, besonders geschlechtliche Gleichberechtigung und in Angelegenheiten gleichwertigen Zugangs zu kommunalen Ressourcen.“
Das Teilen von Ressourcen und regionale Kooperationen hält Dr. Munib A. Younan für unerlässlich: „Es ist offensichtlich, dass weder Israel noch Palästina allein existieren können.“ Wenn sie unabhängige Staaten seien, „werden sie Seite an Seite sein, selbstverständlich erfolgreich sein durch ihre Zusammenarbeit in Ressourcen und infrastruktureller Entwicklung.“ Und weiter: „Wenn wir wirklich die menschliche Würde jeder Person in der Gegend achten wollen, dann müssen wir an einer regionalen Kooperation arbeiten. Jerusalem sollte eine geteilte Stadt für die beiden Nationen und die drei abrahamitischen Religionen sein; die Siedlungsaktivitäten sollten enden; es sollte eine gerechte politische Lösung für palästinensische Flüchtlinge geben; Ressourcen sollten geteilt werden und die regionale Zusammenarbeit sollte blühen. Wir glauben weiterhin an diese Prinzipien, aber politische Realitäten scheinen diese Vision oft nicht unterstützen zu wollen. Dies ist der Grund, warum ich an beide, Palästinenser und Israelis, appelliere, dem auf Gerechtigkeit basierenden Frieden eine Chance zu geben. Da die gegenwärtige Situation sehr gefährlich ist, ist Frieden, der auf Gerechtigkeit fußt, gut für Palästinenser und Israelis gleichermaßen.“

 

Gastgeschenk „Himmelskreuz“

Der Düsseldorfer Künstler Thomas Schönauer gestaltet für den Luthergarten in Wittenberg die temporäre Installation „Himmelkreuze“. Bischof Dr. Munib A. Younan erhielt beim Sommerempfang des Martin Luther Forum Ruhr ein Modell der zentralen Skulptur „Himmelskreuz“ – überreicht vom Künstler selbst und von dem Landschaftsarchitekten Andreas Kipar (Mailand/Duisburg). Kipar hat den Luthergarten entworfen und ist Mitglied der Freunde und Förderer des Martin Luther Forum Ruhr. Die Einweihung der Skulptur wird 2016 im Rahmen der Ratstagung des Lutherischen Weltbundes in Wittenberg erfolgen. Im Luthergarten in Wittenberg hat das Martin Luther Forum Ruhr im November 2010 einen Baum gepflanzt – in Anwesenheit von Bischof Younan. Der Korrespondenzbaum im Martin Luther Forum Ruhr wurde im März 2011 gepflanzt (mit Norbert Denecke, Geschäftsführer des Deutschen Nationalkomitees des LWB, Pfarrer Hans W. Kasch und OB Eckhard Naumann aus Wittenberg).

 

Norbert Deneke: Weltweit ins Gespräch kommen

Vor dem Festvortrag hatte Norbert Deneke, Oberkirchenrat und Geschäftsführer des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes (Hannover), in seinem Grußwort darauf hingewiesen, dass sich auch der LWB seiner Verantwortung bewusst sei und sich vor allem der internationalen und ökumenischen Dimension des Reformationsjubiläums annehme: „Als Kirchengemeinschaft mit 142 Mitgliedskirchen in über 70 Ländern kann er unmittelbar weltweit agieren und in allen Regionen der Welt mit kirchlichen und gesellschaftlichen Partnern ins Gespräch kommen.“ Deneke verwies beispielhaft auf zwei Initiativen: „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ – das Dialogdokument des Vatikans und des LWB, von jedermann unter www.2017gemeinsam.deles- und kommentierbar – und das „Global Young Reformers‘ Network“ mit virtuellem Vernetzungsprozess und einer internationalen Jugendkonferenz. Gerade dieses Projektbeispiel führe mitten ins Thema Sommerempfangs: Reformation und Politik. Norbert Deneke dankte dem Martin Luther Forum Ruhr für die Initiative, Dr. Munib A. Younan einzuladen.

 

Prof. Dr. Reinhard Klenke: Lob für das Martin Luther Forum Ruhr

„Auch heute ist die Frage des Einflusses von Religion auf Politik zu beantworten“, stellte Professor Dr. Reinhard Klenke, Regierungspräsident Münster, in seinem Geleitwort fest. „Staat und Religion formulieren Verhaltensgebote. Sie müssen sich bei richtigem Verständnis bei der Verwirklichung der Gerechtigkeit ergänzen. Glaube darf sich nicht ins Kämmerlein zurückziehen. Wir müssen für das Gerechte eintreten, sei es gelegen oder ungelegen. Wir Christen müssen aber auch die demokratische legitimierte rechtsstaatlich kontrollierte staatliche Kompetenz zur Schlichtung von Streitigkeiten respektieren, hinter denen legitime Interessen, aber keine christlichen Moralprinzipien stehen.“ Die rechte Abgrenzung zwischen dem gebotenen Einmischen und dem sich Hineinziehen lassen zu finden, dazu trage das Martin Luther Forum Ruhr bei, sagte der Regierungspräsident weiter. Das Martin-Luther-Forum habe sich der realistischen Sicht auf diese Welt ohne Illusion und ohne Resignation verschrieben. Professor Klenke: „Und das ist Antwort auf das Verhältnis Reformation und Politik.“ Gerne habe das Land geholfen. Das Forum habe wahrlich nicht enttäuscht. Dafür dankte der Regierungspräsident dem Martin Luther Forum Ruhr und seinen vielen ehrenamtlich Wirkenden sowie den vielen Spendern und Stiftern.

Das Bläserensemble unter der Leitung von Landesposaunenwart Daniel Salinga hatte den Sommerempfang mit der Reformations-Fanfare eingeleitet und sorgte dann für die musikalische Begleitung – sehr unterhaltsam auch nach dem offiziellen Teil bei den Begegnungen im und vor dem Martin Luther Forum Ruhr.
Werner Conrad

Mehr Infos über den Luthergarten und das Kunstprojekt:

www.luthergarten.de

www.thomas-schoenauer.com

www.kiparlandschaftsarchitekten.eu