Intensive Diskussion im Martin Luther Forum Ruhr über Missbrauch, Priestertum und Reformfähigkeit der Katholischen Kirche
Er übte harte Kritik an der Katholischen Kirche – und doch glaubt er an ihre Reformfähigkeit, „wenn sich die Strukturen ändern, die den Dialog abwürgen“: Jesuitenpater Klaus Mertes, Direktor des Kollegs St. Blasien im Schwarzwald, diskutierte am Sonntagabend im Martin Luther Forum Ruhr an der Bülser Straße mit Professor Dr. Michael Göring, Autor des Romans „Der Seiltänzer“, über Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, die Sexualmoral der Katholischen Kirche, Probleme des Zölibats und das Doppelleben von Priestern.
„Die Steilvorlage“, so die Moderatorin Vera Steinkamp vom Medienforum des Bistums Essen, zum Gespräch gab an diesem Abend vor rund 90 Besucherinnen und Besuchern Professor Göring mit der Lesung einiger Passagen aus seinem „Entwicklungsroman“ „Der Seiltänzer“. Dort geht es um zwei Männer, die sich seit der Kindheit kennen, einer Agnostiker, der andere Priester. Dieser predigt gegen die Missbrauchsfälle in seiner Kirche – und gerät selbst (unberechtigt) in Missbrauchsverdacht. Zudem kämpft er mit dem Zölibat – er hätte gern eine Familie und Kinder, hatte auch Beziehungen zu Frauen. Vor diesem Hintergrund entwickelte sich im Lutherforum ein intensiver Dialog, in den schließlich auch das Publikum mit einbezogen wurde.
Nach Überzeugung von Pater Mertes, der 2010 als damaliger Rektor des Berliner Canisius-Kollegs sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen an seiner Schule öffentlich gemacht hatte, zeichnet Göring in seinem Buch ein realistisches Bild vom Doppelleben vieler Priester. Die Sexualmoral der Katholischen Kirche sei fixiert auf das Verbotene. Zudem habe man eine „kulturelle Situation“, die den Priesterberuf für diejenigen besonders attraktiv mache, die „mit ihrer eigenen Sexualität Probleme haben“ und ihre eigene Sexualität verleugneten. Im Kern, so der Pater, gehe es bei Missbrauch um Machtmissbrauch. Und darum, keine Angst zu haben, die Dinge beim Namen zu nennen, weil man sonst Ärger bekommen könnte. Wer die Wahrheit ausbreiten wolle, müsse dabei auch den Preis der Stigmatisierung der betroffenen Einrichtung zahlen. Sprechverbote allerdings führten zu Sprachlosigkeit. Mertes räumte unumwunden ein, dass er besonders in den vergangenen drei Jahren ein großes Maß an Lügen und Denunzierung innerhalb des Kirchenapparates erlebt habe. Die Katholische Kirche habe ein autoritäres Schema installiert. Allerdings seien Loyalität und Widerspruch kein Gegensatz: „Wenn die nicht zusammenkommen, wird die Katholische Kirche eine Großsekte.“ Er habe keinen Masterplan für eine Kirchenreform, sagte der Ordensmann. „Aber beide Seiten, unten und oben, müssen was tun, und zwar im Zusammenspiel. Es geht nur über die Überwindung der Angst.“ Zu den Personen: Prof. Dr. Michael Göring: Stiftungsmanager und Autor des Romans „Der Seiltänzer“. Er leitet als Vorsitzender des Vorstandes die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius in Hamburg. Darüber hinaus ist er Honorarpro-fessor am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.