Die Veranstaltung „Zuwanderung als Glaubenssache“ am 14. September 2017 mit Podiumsgästen lockte trotz unwirtlichstem Wetter rund 50 Personen ins Martin Luther Forum Ruhr, um zu erfahren, was sich hinter dem angekündigten Vergleich von lutherischen Masuren und muslimischen Türken verbarg. Die Historikerin Angelika Müller präsentierte mit Lebendigkeit und anschaulichem Bildmaterial viel Unbekanntes und Neues. Sie zeigte gleiche und ähnliche Strukturen von Religionsausübung und Selbstorganisation auf bei den aus Ostpreußen stammenden ev. Gebetsvereinen innerhalb der Landeskirche und den türkischen Moscheevereinen. Das rief großes Erstaunen hervor hinsichtlich der vergessenen Zuwanderungsgruppe der Masuren im Ruhrgebiet als polnisch sprechenden, preußischen Protestanten und der nicht vermuteten Parallelen zu den türkischen Migranten. Die Referentin arbeitete an konkreten Beispielen auch politische Instrumentalisierung beider Ethnien heraus. Irritationen gab es hinsichtlich ihrer Verwendung des Begriffs „Fundamentalismus“ in Bezug auf diese religiösen Gruppen. Müller bezeichnete die tief religiös Verwurzelten der ev. Gebetsbewegung und der türkischen Muslime in den Moscheevereinen als fundamentalistisch, weil sie auf dem Bodengrund von Glaubensschriften und -sätzen ständen, deren absolute Unantastbarkeit und Gültigkeit sie postulierten. Die Bezeichnung ging dem Podiumsgast und Islamwissenschaftler Hüseyin Inam ebenso zu weit wie dem ev. Pfarrer Michael Cylwik. Beide hielten die Definition für zu eng gefasst, weil man Fundamentalismus im Allgemeinen mit zusätzlichen politischen Implikationen verbände.
Die von Müller eingeladenen Gäste ergänzten ihre historischen und soziologischen Betrachtungen mit eigenen Erfahrungen. Sozialpädagogin Sabine Sinagowitz, tätig für den ev. Kirchenkreis Gelsenkirchen/Wattenscheid, schärft seit Jahren das Bewusstsein der verfassten Kirche für die vergessenen evangelischen Ostpreußen. Im Podiumsgespräch skizzierte sie die lange, protestantische Geschichte ihrer Vorfahren aus Masuren, als Vertriebene in der DDR und in Gelsenkirchen. Sie zeigte sich selbst erstaunt über die gereifte Erkenntnis, wie ihre protestantische Prägung ihre Selbstständigkeit und Urteilsfähigkeit im Beruf gefördert habe. Sie arbeitet in der ev. Jugendberufshilfe und stärkt bei den Schülern das Bewusstsein für die eigenen familiären und ethnischen Wurzeln. Auch Hüseyin Inam erzählte von seiner Kindheit und Jugend in der Auseinandersetzung um Anerkennung. „Wir haben uns nicht ghettoisiert, die Deutschen zogen weg und die Freunde waren auf einmal nicht mehr da.“
Auf die religionspolitische Rolle der Imame von Müller angesprochen, setzt der Islamwissenschaftler auf eine freiheitliche Bildung der Imame und eine Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das Ziel müsse ein offener, aber unabhängiger Islam in Deutschland sein, weder deutscher noch türkischer Kontrolle unterliegend. „Man müsse den Mut haben, dem Anderen zu begegnen, sich einfach kennenzulernen, ohne gleich nach Problemen zu suchen“, resümierte er die Diskussion. Dr. Martin Grimm als Vertreter des MLFR dankte Herrn Inam für seine Worte, die einem Schlussplädoyer gleichkämen, und bezeichnete einmütig mit dem sehr konzentrierten Publikum die umfangreiche Veranstaltung als Erfolg.